Vom heiligen Martin auf dem Pferd bis zum Pelzmärtl: Wie wir den Sankt-Martins-Tag in Erinnerung haben und welche Martinstag-Bräuche es in den unterschiedlichen Regionen, in denen wir aufgewachsen sind, gibt, lesen Sie hier.
Als es dunkel wurde versammelten sich Kinder, Eltern und Großeltern an der Kirche. Es herrschte eine erwartungsvolle Stimmung, die aus einem monotonen Gemurmel und unruhig aufgeregten, mit Laternen umherfuchteltenden Kindern, bestand. Laternen, die man vorher aus Tonpapier und Transparentpapier in mühevoller Bastelarbeit im Kindergarten zusammengeklebt hatte. Ich glaube das war das erste und letzte Mal, dass ich solch ein transparentes Papier verwendet habe. Ein Meisterwerk, so fand ich, sei meine Laterne. Besonders weil ich eine Kerze und nicht so ein neumodisches Glühlämpchen vor mir hertragen durfte.
Laterne an – und da kam er auch schon. Stattlich in rotem Mantel ritt St. Martin auf seinem Pferd und führte unseren Zug an. Auf mich wirkte er eher wie ein Römer, was wohl dem imposanten Helm geschuldet war. Nichtsdestotrotz war er eine Erscheinung. Singend und natürlich in Begleitung von Bläsern unserer Musikkappelle, zog man durch die Straßen zur zweiten Kirche, in der der Gottesdienst stattfand.
Nach der Messe folgte ein nicht nur für Kinder schöner Abschluss. Der heilige Martin verteilte beim Verlassen der Kirche Nussecken an Groß und Klein. Anschließend versammelte sich die Gemeinschaft in der Turnhalle der Schule zu Glühwein, Kinderpunsch und selbstgemachtem Gebäck wie Nussecken und Lebkuchen. Wer besonders viel Glück hatte, der durfte seine Laterne auf dem Heimweg nochmals mit Kerzenschein ausführen.
Maja Halt
Ich bin in einem kleinen Dorf namens Geislohe im Altmühltal groß geworden. In dem Dörfchen am südlichsten Zipfel Frankens kennt jeder jeden und Bräuche werden noch groß geschrieben.
Schon Tage vor St. Martin waren wir Kinder ganz aufgeregt und fertigten kleine Kunstwerke und Gedichte für den Pelzmärtl an. Pelzmärtl – ja so heißt der Gabenbringer bei uns in Franken. Der Name Pelzmärtel leitet sich von Pelz (vom westmitteldeutschen „pelzen“, was so viel wie „prügeln“ bedeutet) und der fränkischen Verkleinerungsform für Martin, Märtl, ab. Unsere Gegend ist evangelisch geprägt, deswegen gibt es auch keinen Nikolaus. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass unser Pelzmärtl dem heiligen Nikolaus von Zeit zu Zeit immer ähnlicher wurde. Nur dass der evangelische Nikolaus eben rund einen Monat früher zu Besuch kommt. Am 11.11. denkt deshalb bei uns kein Mensch an Fasching – der Tag bedeutet für uns den Anfang der Vorweihnachtszeit. Am Abend des St. Martinstag kamen unsere Paten und Großeltern zu Besuch und wir machten es uns bei Glühwein und Kinderpunsch im Wohnzimmer gemütlich. Zum ersten Mal im Jahr wurden Lebkuchen und Stollen aufgetischt.
Trotz der heimeligen Atmosphäre war mir und meiner Zwillingsschwester etwas mulmig zumute. Wir wussten nämlich: Die Glocke des Pelzmärtls könnte jederzeit erklingen. Manchmal versteckten wir uns vor Angst im Haus oder suchten Schutz hinter dem Rücken unseres Opas. Aber dem Pelzmärtl entkommt man nicht! Und wenn man brav war, hatte man auch gar nichts zu befürchten – im Gegenteil: Der alte Mann brachte Geschenke! Eigentlich ein Grund zur Freude, doch wenn der Pelzmärtl mit seinem Knecht Ruprecht durch die Wohnzimmertür kam, erstarrten wir vor Angst. Der große Mann war gehüllt in einen roten, zerschlissenen Mantel und trug eine Maske, die ein freundlich-unheimliches Grinsen, glühend rote Wangen und einen weißen, langen Bart zeigte.
Und auch Knecht Ruprecht erschien uns wenig vertrauenswürdig mit seiner ins Gesicht fallenden Kapuze, der Reißig-Rute und seinem zerfledderten Jutesack, in den er die frechen Kinder steckte, um sie mit in den Wald zu nehmen. Wir trugen also schüchtern unser Gedicht vor, gaben dem Pelzmärtl unsere gekrakelten Bilder und wurden über unsere Fehler und Schwächen im letzten Jahr belehrt. Der Pelzmärtl wusste alles über uns – sowohl das Gute als auch das Schlechte. Zum Schluss bekamen wir doch immer unser Sackerl mit Nüssen, Mandarinen und Lebkuchen und landeten nicht in Ruprechts Sack. Wir sind ja auch immer artig gewesen!
Alexandra Lindert
Bei uns in der Gegend ist es Brauch, dass die Kinder zu St. Martin mit selbst gebastelten Laternen singend durch die Straßen ziehen. Dabei wird an jeder Tür im Ort geklingelt, ein Lied gesungen und für einen wohltätigen Zweck gesammelt. Oft bekommen die Kinder auch Süßigkeiten, die am Ende des Abends bei Kinderpunsch und warmen Würstchensemmeln aufgeteilt werden.
Während meiner Kindergartenzeit gab es jedoch noch einen zweiten Brauch.
Der Kindergarten veranstaltet jedes Jahr zu Sankt Martin ein kleines Fest, zu dem auch die Familien der Kindergartenkinder eingeladen sind. Die Väter basteln zuvor die Laternen aus Blechdosen und stanzen Motive hinein. Ob Sterne, Sankt Martin selbst oder eine Martinsgans – alles rund ums Thema und zur Jahreszeit findet sich darauf.
Am Abend des 11. Novembers ging es dann gemeinsam in die Kirche. Nach dem Gottesdienst zogen wir mit unseren Laternen an den Ortsrand. Dort befindet sich ein kleines Waldstück, wo die Geschichte von St. Martin und dem Bettler gespielt wurde. Anschließend gab es leckeres Gebäck, das die Mütter mitgebracht haben, Lebkuchen und Kinderpunsch – und für die Eltern natürlich auch Glühwein. Ideal, um den St.-Martins-Tag ausklingen zu lassen.
Kerstin Siebentritt
Woran merkte ich als Kind, Anfang der 90er Jahre, dass das Martinsfest vor der Tür steht? Nicht erst an den Laternen-Bastelnachmittagen, sondern an den Weckmännern in den Auslagen der Bäckereien überall in der Stadt. Bereits ab Oktober gab es das süße Hefegebäck, andernorts auch als „Stutenkerle“ bekannt, mit Tonpfeife im Arm und Rosinen als Augen wieder zu kaufen. Eine kulinarische Kindheitserinnerung, die für mich untrennbar mit dem Martinsfest verbunden ist.
Als Vorbereitung auf den alljährlichen Martinsumzug bastelten wir im Kindergarten oder eben später in der Grundschule natürlich unsere Laternen - jedes Jahr eine neue Form, jedes Jahr eine neue Basteltechnik. Von diesen kleinen Kunstwerken war dann aber letztlich meist nicht mehr viel zu sehen, denn Mitte November war das Wetter oft bereits so schlecht, dass die empfindlichen Kunstwerke aus Fotokarton und Transparentpapier in eine durchsichtige Mülltüte gepackt werden mussten, damit diese nicht von Regen oder Schnee aufgeweicht wurden.
Beim Laternenumzug mit dem Kindergarten oder der Grundschule folgten wir schließlich dem Heiligen Martin in seinem roten Mantel auf seinem Pferd durch die Innenstadt. Der Heilige Martin, das war in unserem Fall ein Mitglied des Reiterzugs des hiesigen Schützenvereins, der jedes Jahr für einen Abend in die Rolle des biblischen Wohltäters schlüpfte. Flankiert wurde unsere durch die vielen Laternen beleuchtete Gruppe von Vätern, die als Fackelträger den Zug und ihre inbrünstig singenden Sprösslinge begleiteten. „Ich geh mit meiner Laterne“ und „St. Martin ritt durch Schnee und Wind“ waren neben vielen anderen die Lieder, die wir mehrmals während unseres Umzugs zum Besten gaben und in den Wochen zuvor natürlich fleißig geübt hatten. Unterwegs wurden wir außerdem musikalisch von unserer Blaskapelle unterstützt.
Zurück im Kindergarten oder in der Schule, wurde die Geschichte vom Heiligen Martin aufgeführt. Der eigens hierfür präparierte rote Mantel wurde geteilt und dem am Boden kauernden Bettler (ebenfalls ein netter Freiwilliger, der für uns den Beschenkten mimte) übergeben. Abschließend gab es für die Kinder alkoholfreien Früchtepunsch, manchmal auch heißen Kakao, Martinsgänse aus Hefeteig und natürlich – Weckmänner.
Iris Ahmad
Wie feiern Sie in Ihrer Region St. Martin? Haben Sie einige Martinstag-Bräuche erkannt oder zum ersten Mal von Ihnen gehört? Wir freuen uns auf Ihre Geschichten rund um St. Martin!
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